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16.04.2009

Mit Affenzahn durch das Schweineohr

Mit 200 Km/h auf eine Kurve zuschießen: Da fressen sich die Füße in den Fußraum

Test

Wuuummmmm, Wuuuuummmmm, Wuuu- mmm, wrrrrrmmmm... Als der 258 PS starke Rennbolide noch in Zeitlupentempo über den Asphalt rollt, versucht der Fahrer, mich von ein paar Prozenten meines mulmigen Gefühls zu befreien. "Es passiert nichts, keine Angst. Wir fahren erst mal ganz langsam. Zum Aufwärmen", sagt Guido Imhoff.

Dummerweise versteht er unter einer Aufwärmrunde etwas anderes als ich. Fünf Sekunden später rast der Wagen mit über 100 Km/h auf eine Schikane zu. Erst im letzten Moment bremst das Gefährt vor drei hintereinander aufgestellten, leicht versetzten Reifenstapeln abrupt ab. Links, rechts, links - vorbei. Imhoff schaltet blitzartig hoch und gibt Gummi. "Das fängt ja gut an", denke ich mir.

Mein Körper wird in den Sitz gepresst. Es wackelt und schüttelt im Inneren. Meine Füße fressen und bohren sich regelrecht in den Fußraum. Als sollten sie den Blitzableiter meiner Anspannung spielen. Die rechte Hand hält sich krampfhaft am Überrollbügel an der Beifahrerseite fest. Unter dem Hintern vibriert es.

Mit 170 Km/h nähern wir uns einer Kurve, die auf uns zuschießt. "Will der Mann nicht bremsen", frage ich mich. Naja, er wird schon wissen, was er tut. Und tatsächlich. Mit "lächerlichen" 120 Km/h rauschen wir durch die 150 Grad-Kurve der Kategorie R4++. "R plus eine Zahl von eins bis sechs" bedeutet den Winkel. Das Doppelplus steht für "Nicht vom Gas gehen." Vielleicht rutscht mir deshalb das Herz zwei Etagen tiefer.

"Und, alles gut bei dir?", erkundigt sich Imhoff über Kopfhörer. Mehr als ein eingeschüchtertes, leises Ja will mir irgendwie nicht über die Lippen kommen. Kein Wunder: Die Nadel des Drehzahlmessers überschreitet die 8500er Marke. Im sechsten Gang wohl gemerkt.

Nüchtern betrachtet ist der zweite Beifahrer namens Schreck ein völlig überflüssiger Passagier. Guido Imhoff ist ein alter Hase unter den Rallyefahrern. Ein erfolgreicher dazu. 2004 gewann der Burgdorfer den Schottercup quer durch die Republik. Zwei Jahre später triumphierte das Mitglied des RCK Hannover bei der deutschen Rallye-Challenge. 2008 wurde er Zweiter im Rallye-Masters. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. "Ich bin nur 50 Prozent wert", sagt der gelernte Betriebswirt später und schaut zu seinem Beifahrer Sebastian Walker aus Westerbeck, Mitglied beim MSC Knesebeck. "Er ist eigentlich der Kapitän und ich der Steuermann."

Und dass ohne den Kapitano nichts läuft, haben wir bei der Fußball-WM 2006 gelernt. Im Rennen führt Walker mittels eines Gebetsbuches durch die Strecke. Die vielen Zahlen und Buchstaben sehen aus wie eine komplizierte mathematische Gleichung. Jede Kurve, jeder Radius, jedes noch so kleine Hindernis wird in codeähnlichen Wörtern rechtzeitig durchgesagt. "Es ist ein Teamsport", meint Imhoff.

Spätestens beim Zwischenstopp weiß ich warum. Imhoff verlässt die Strecke und tuckert zu seiner Crew. Die Motorhaube geht auf. Es qualmt ein wenig. Kein Grund zur Sorge. Es sind nur die aufgeheizten Bremsen. Teamchef Harald Prinz und Mechaniker Walter Gausmann stellen für eine bessere Bodenhaftung die Stärke des Stoßdämpfers nach. Eine ideale Gelegenheit, um mir meine schweißgebadeten Hände an meinem blauen feuersicheren Rennoverall abzuwischen und das Irrsinns tempo sacken zu lassen. Erholung ist aber relativ.

Eine Ölsardine hat in der Büchse mehr Platzkomfort als ich in meinem tiefen, extrem engen Sitz, in den ich durch die Hosenträgergurte regelrecht hineingedrückt werde.

Immerhin bleibt etwas Zeit, um sich intensiver mit der Innenausstattung zu beschäftigen. Schlauer werde ich dadurch nicht. So viel nur: An ein serienmäßiges Auto erinnert hier gar nichts. Bordcomputer, Drehzahlmesser, Knöpfe über Knöpfe, Kabel über Kabel. Der 45000 Euro teure Golf Kit Car mit Sechs-Gang-Dogbox-Getriebe ohne Kupplung hat definitiv nichts von einer herkömmlichen Familienkutsche. "Das VW-Zeichen und die Türgriffe sind noch original, der Rest wurde modifiziert", schmunzelt Imhoff. Den vielen PS zuliebe. Und die werden plötzlich wieder zum Leben erweckt.

Der Motor heult auf. Trotz des eng anliegenden Helms suchen sich die brüllenden Wagen-Geräusche den Weg in meine Gehörgänge. Wir sind wieder auf der Piste. Dank der sagenhaften Energie unter dem Blech beschleunigen wir so eben mal auf fast 200 km/h. Bei diesem Autobahntempo kann nicht mal mehr mein rasender Pulsschlag mithalten. Meine anfängliche Angst vermischt sich allmählich mit Begeisterung: Was ist schon eine Achterbahnfahrt im Heidepark dagegen...

Die vorbeirauschenden Bäume flößen mir dennoch gehörigen Respekt ein. Mit einem Affenzahn nähern wir uns dem Schweineohr (unweit der VW-Teststrecke) und der lang gezogenen, kniffligen Dreifach-Linkskurve. An dieser Stelle haben sich schon viele Fahrer bei der MSC-Rallye verschätzt und die Ideallinie verloren. Imhoff nicht. Er geht in die Eisen. Der Wagen stürzt sich beherzt in die Kurve. Dann gibt er wieder Saures. "Es ist der Reiz, die Physik auszuspielen. Die mentale Stärke ist immer mit an Bord. Das ist unheimlich wichtig", meint der 38-Jährige. "Sonst ist die Konzentration mittags im Kofferraum. Dann wird es gefährlich."

Ich habe fertig! Nach exakt 14 Kilometern klettere ich geschafft, aber völlig überwältigt aus der Fahrgastzelle. Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen am Rande der Strecke, setze mich auf einen Holzklotz, schließe die Augen: Kurven, lange Geraden, Lenkmanöver laufen wie ein Film vor mir ab. Der feuerfeste Anzug klebt an meinem Rücken. Ich nehme den Helm ab und wische mir Schweißperlen von der Stirn. Langsam komme ich zu mir. Ich grinse, hole tief Luft und gehe auf leicht wackeligen Beinen zu Imhoff, der entspannt mit seiner Crew plaudert. "Und, wie war's?", fragt mich dieser nach ersten Impressionen der irrsinnigen Rundfahrt durch das Schweineohr. Meine Antwort sorgt für allgemeine Erheiterung: schweinisch gut...


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